Zwangsarbeiter - "Russischer Friedhof": Gemeinde Pleidelsheim

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Gedenkstätte "Russischer Friedhof" im Gemeindewald sowie Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Dorf und im Reichsautobahnlager beim Gemeindewald

Am 27. März 1939 teilte Bürgermeister Keller dem Gemeinderat mit, dass "die Autobahn beim Gemeindewald ein Lager für 200 Personen errichtet". In einem handschriftlichen Aktenvermerk vom 09. März 1939 ist festgehalten, dass das Lager an der Stelle errichtet werden soll, an der früher ein Sportplatz vorgesehen war und das die Autobahnbehörde das Gelände auf ihre Kosten zweckmäßig herrichten will. Auch sollten Pachtverträge abgeschlossen werden, unter anderem mit folgenden Regelungen: das Lager wird etwa ein Jahr lang unterhalten; Wasser soll von der Gemeinde bezogen werden; für die Lieferung von Lebensmitteln müssen hiesige Geschäftsleute berücksichtigt werden. Das Reichsautobahnlager war somit eines der zahlreichen Wohnbarackenlager, in denen die Organisation Todt die beim Autobahnbau beschäftigten deutschen Arbeiter unterbrachte.

Das mit dem Bau beauftragte Bauunternehmen übernahm am 16. Juni 1939 das RAB-Lager mit mehreren Baracken und einer Küchenausstattung für 300 Personen. Doch bereits im Juli sollte das Lager an die Gemeinde vorübergehend zurückgegeben werden, um "Flüchtlinge" unterzubringen. Damit begann die wechselvolle Geschichte des RAB-Lagers, das aber zu keiner Zeit ein Konzentrationslager oder ein Außenlager eines solchen war.

Mit dem Überfall Hitlers auf Polen kamen auch fremde Staatsbürger, unfreiwillig oder freiwillig, nach Pleidelsheim. In der Gemeinderatssitzung am 21. November 1939 berichtete Bürgermeister Keller, dass seit Oktober 60 polnische Kriegsgefangene auf Rechnung der Gemeinde im RAB-Lager untergebracht seien. 20 Kriegsgefangene mussten in der hiesigen Landwirtschaft bei der Hackfruchternte helfen, die anderen sind zu Arbeiten in Beihingen, Groß- und Kleiningersheim herangezogen worden. Die Löhne des Lagerführers sowie des Kochs wurden von der Baufirma bezahlt. Doch mit dem 20. November 1939 hat die Autobahn die Unterbringung gekündigt, da im Lager nun freie polnische Fremdarbeiter für den Autobahnbau untergebracht werden sollten.

Am 29. November 1939 erging von der Kommandantur des Kriegsgefangenenlagers Ludwigsburg an die Führer der Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos ein Rundschreiben, das über die Verpflegungssätze, Seifenzuteilung, Bekleidung und Nachtbewachung informierte. "Die Kriegsgefangenen erhalten den geringsten Verpflegungssatz wie jeder deutsche Volksgenosse, der nicht Schwerarbeiter ist". Hochwertige Lebensmittel (Butter, Reis, Hülsenfrüchte, Schokolade, Bohnenkaffee) durften nicht abgegeben werden. Bei der Aufzählung der Bekleidung war je Mann auch ein Paar Stiefel ausgewiesen, die Bürgermeister Keller umgehend für die Gefangenen, die an der Entwässerung des Beihinger Feldes arbeiteten, beantragte, "da diese Arbeit im Interesse der Volksernährung dient". Ebenfalls noch im Dezember beantragte er für sie Rasierseife, Rasierapparate, Rasierklingen sowie 20 Paar Fausthandschuhe. Auch Lebensmittel versuchte er zu organisieren. Der Ochsenwirt wurde angewiesen, für die vom 30. Oktober bis 18. November 1939 bei der Hackfruchternte eingesetzten Gefangenen 198 kg Fleisch oder Fleischwaren abzugeben. Eine am 14. November 1939 ergangene Anweisung aus Ludwigsburg besagte, dass nur noch zwei bis drei Tage altes Brot ausgegeben werden dürfe und die Gefangenen zum Heizen keine Union-Briketts erhalten sollten, sondern sich mit der vorhandenen Kohle begnügen müssten.

Außergewöhnlich scheint auch die Tatsache zu sein, dass die Kriegsgefangenen bereits ab 19. November 1939 entlohnt wurden. Waren auch die Beträge sehr gering, so finden sich doch Zahlungsanweisungen zur Aushändigung von Lagergeld an den Führer des jeweiligen Arbeitskommandos. Sonstige einbehaltene Beträge flossen dem Fonds "Lagermittel" zu, der restlos für die Zwecke der Kriegsgefangenen zur Verfügung stand. Die durch Überstundenarbeit verdienten Löhne oder besondere Prämien der Unternehmer sollten voll ausbezahlt werden.

Am 24. November 1939 wurde im Lager der gesamte Warenbestand, der inzwischen sehr umfangreich und vielseitig war, aufgelistet, um bei der Auflösung des Lagers an einen ortsansässigen Wirt und an die Baufirma verkauft zu werden. Die Verpflegung der Kriegsgefangene und der Wachmannschaft erfolgte nun beim Kronenwirt.

Schon seit Januar wurde der Speisezettel der Kantine des RAB-Lagers in polnischer Sprache geschrieben.

Zur gleichen Zeit waren in Pleidelsheim selbst zwei Gruppen polnischer Kriegsgefangener mit ihrer Wachmannschaft untergebracht - eine davon im Großen Haus, die andere in der Rebveredlungsanstalt. Im Februar 1940 beantragte Bürgermeister Keller beim Wirtschaftsamt Ludwigsburg die Schwerarbeiterzulage für 18 polnische Kriegsgefangene, die damals im Gemeindesteinbruch und anschließend wieder bei Entwässerungsarbeiten beschäftigt waren.

Mehrmals erbat die Gemeinde beim Arbeitsamt Ludwigsburg die Zuteilung von polnischen Landarbeitern. Dies wurde jedoch immer abschlägig bescheinigt, "da das zugeteilte Kontingent bei weitem nicht ausreichte". Am 03. Juli 1940 informierte das Arbeitsamt jedoch über den Einsatz französischer Kriegsgefangener, die auch in der Industrie eingesetzt werden sollten. Auch sie sollten eine Entlohnung erhalten, und zwar 2,10 RM bei 10 Stunden Arbeitszeit täglich. Nach einem "Führerbefehl" vom 08. Juli 1940 sollten alle polnischen Kriegsgefangenen, die arbeitstauglich waren, freigelassen und durch französische Kriegsgefangene ersetzt werden. Dabei sollten bis Kriegsende "Polen als Zivilpersonen" in der Landwirtschaft eingesetzt werden.

Im November 1940 beantragte Bürgermeister Keller die Schwerarbeiterzulage für die französischen Kriegsgefangenen im Ort, da die bei der Autobahn beschäftigten Kriegsgefangenen diese bereits erhielten, "obwohl die Arbeitsleistungen bei weitem hinter denen zurückstehen, die bei der Gemeinde verlangt werden". Im November 1943 waren 39 Kriegsgefangene im Gasthaus Löwen untergebracht und Mitte Januar noch 34.

Am 01. Juni 1942 übernahm das Landesarbeitsamt Württemberg das Barackenlager beim Gemeindewald und wies es als "Krankenlager für ausländische Arbeitskräfte" aus, um es für "seuchenhygienische Zwecke" zu beanspruchen. Das Krankenlager gehörte zu den Einrichtungen des Durchgangslagers Bietigheim und bestand wahrscheinlich bis Januar 1943. Ab Februar wurden die Kranken nach Großsachsenheim verlegt (der Mietvertrag mit der Reichsautobahn wurde auf 30. September 1943 gekündigt). Seit dem 01. Juli 1943 war das Lager erneut mit russischen Kriegsgefangenen belegt.

In der Zeit zwischen September 1941 und Januar 1943 starben in Pleidelsheim 16 Menschen russischer, ukrainischer und französischer Nationalität, darunter 3 Frauen. Die Leichname der beiden französischen Kriegsgefangenen (Tod durch Ertrinken beim Baden im Neckar bzw. durch Erhängen im Arrest) sind 1950 in ihre Heimat überführt worden. Die anderen Toten fanden ihre Grabstätte auf dem Begräbnisplatz im Gemeindewald. Als Todesursache wurde bei ihnen offiziell angegeben: Flecktyphus, Tuberkulose, Lungenentzündung, Krebs, Rose und Wassersucht, Herzlähmung, Kreislaufschwäche und Altersschwäche.

Bürgermeister Keller ist es zu verdanken, dass für die Toten aus dem "Krankenlager" bereits 1942 der Begräbnisplatz im Gemeindewald angelegt wurde und ihre Namen im hiesigen Standesamtregister eingetragen wurden. So konnte eine sowjetische Suchkommission im Mai 1951 die Gräber aufsuchen und die Namen der Toten registrieren. Bürgermeister Keller informierte das Landratsamt, dass dabei keine Beanstandungen gemacht wurden, da die Gräber ordentlich gepflegt waren.

Im Jahr 1962 übernahmen Männer der Berufsfeuerwehr Stuttgart die Patenschaft für die bis dahin von der Gemeinde betreuten Gräber; seit 1984 wurden sie bei der Pflege von Schülern der Realschule Marbach unterstützt. Heute sind nur noch die Schüler der Realschule Marbach in Sachen Pflege aktiv. Es führt ein Hinweisschild "Russischer Friedhof" zu den eingefriedeten Gräbern.

(Text: Pleidelsheimer Heimatbuch)